05.10.2011, 09:15
Liebe - Ein Dialog mit mir selbst
Ich erkenne, das Liebe nicht sein kann, wo Eifersucht ist. Liebe kann nicht existieren, wenn man an etwas festhält. Also: ist es mir möglich, von Eifersucht und Bindung frei zu sein? Ich erkenne, das ich nicht liebe. Das ist eine Tatsache. Ich werde mich nicht selbst betrügen; ich werde meiner Frau nicht vormachen, das ich sie liebe. Ich weiß nicht, was Liebe ist. Aber ich weiss wohl, das ich eifersüchtig bin, und ich weiß das ich mich schrecklich an sie klammere und das in diesem Festhalten Angst, Eifersucht und Sorge liegen; da ist ein Gefühl der Abhängigkeit. Ich bin nicht gerne abhängig, aber ich hänge an ihr, weil ich einsam bin; im Büro, in der Fabrik werde ich herumkommandiert, und wenn ich nach Hause komme, will ich mit jemandem zusammen sein und mich geborgen fühlen, um vor mir selbst zu fliehen. Jetzt frage ich mich: Wie kann ich mich von diesem Festhalten befreien? Ich nehme dies nur als Beispiel. Anfangs möchte ich vor dieser Frage weglaufen. Ich weiss nicht, wie das mit meiner Frau enden wird. Wenn ich mich wirklich innerlich von ihr loslöse könnte sich meine Beziehung zu ihr verändern. Vielleicht hält sie an mir fest und es könnte sein, dass ich weder an ihr noch an irgendeiner anderen Frau hänge. Aber das werde ich untersuchen. Darum werde ich nicht vor dem weglaufen, was das völlige Freisein von jeglicher Bindung mit sich bringen könnte. Ich weiss nicht, was Liebe ist, aber ich erkenne sehr klar, eindeutig, ohne jeden Zweifel, dass das Festhalten an meiner Frau Eifersucht, Besitzergreifen, Angst und Sorge bedeutet, und ich möchte frei sein von all dem. Also beginne ich zu forschen; ich suche eine Methode und verfange mich in einem System. Irgendein Guru sagt: »Ich will dir helfen, dich innerlich zu befreien, tu dies und jenes, praktiziere dies und das.« Ich akzeptiere, was er sagt, weil ich sehe, wie wichtig Freiheit ist, und er verspricht mir eine Belohnung, wenn ich seinen Anweisungen folge. Aber ich erkenne: Wenn ich das Problem so angehe, dann erwarte ich eine Belohnung Ich begreife, wie dumm ich bin: indem ich versuche, mich zu befreien, hänge ich mich an eine Belohnung. Ich möchte nicht abhängig sein, und doch bemerke ich, wie ich mich an die Vorstellung klammere, das irgendein Mensch oder irgendein Buch oder irgendeine Methode mich mit dem Freiwerden von der Abhängigkeit belohnen wird. Folglich wird die Belohnung selbst zur Abhängigkeit. Ich sage mir also: »Schau, was Du getan hast; pass auf, geh’ nicht in diese Falle.« Ob es die Bindung an eine Frau, an eine Methode oder an eine Vorstellung ist – es bleibt immer eine Bindung Jetzt bin ich äußerst vorsichtig, denn ich habe etwas gelernt: nämlich, Abhängigkeit nicht gegen etwas anderes einzutauschen, das immer noch Abhängigkeit ist. Ich frage mich: »Was soll ich tun, um mich von der Abhängigkeit zu befreien?« Was ist der Beweggrund für diesen Wunsch? Ist es nicht so, das ich einen Zustand erreichen möchte, in dem es kein Festhalten, keine Angst und so weiter gibt? Und ich verstehe plötzlich, das dieser Beweggrund die Richtung angibt, und das diese Richtung über meine Freiheit entscheiden wird. Warum hat man einen Beweggrund? Was ist das? Ein Beweggrund ist eine Hoffnung oder ein Wunsch, etwas zu erreichen. Ich erkenne, das ich von einem Beweggrund abhängig bin. Nicht nur meine Frau, nicht nur meine Vorstellung, die Methode, sondern mein Beweggrund ist zur Abhängigkeit geworden! Also bewege ich mich die ganze Zeit im Bereich der Abhängigkeit – von meiner Frau, von der Methode und von dem Beweggrund, in Zukunft etwas zu erreichen. An all dem hänge ich. Ich erkenne, wie ungeheuer komplex die Sache ist; es war mir nicht klar, das die Befreiung von Abhängigkeit all dies beinhaltet. Jetzt sehe ich das so klar und deutlich wie die Hauptstraßen die Nebenstraßen und die Dörfer auf einer Landkarte; ich erkenne es äußerst klar. Dann sage ich mir: »Nun, ist es mir möglich, mich von meiner grossen Abhängigkeit von meiner Frau, ebenso wie von der Belohnung, die ich erwarte, und von dem Beweggrund zu befreien?« An all das klammere ich mich. Warum nur? Vielleicht, weil ich mir selbst nicht genüge? Vielleicht, weil ich sehr, sehr einsam bin und darum dem Gefühl der Isolation entkommen will, indem ich mich einer Frau, einer Vorstellung, einem Beweggrund zuwende, so, als ob ich mich an etwas festhalten müsste? Ich sehe, das es so ist: ich bin einsam und durch die Abhängigkeit fliehe ich vor diesem Gefühl der ungeheuren Einsamkeit. Also möchte ich gerne verstehen, warum ich einsam bin, denn ich erkenne, das ich mich deswegen an irgend etwas klammere. Diese Einsamkeit hat mich zur Flucht durch Bindung gezwungen, und ich sehe ein, da6 sich dieser Vorgang immer wiederholen wird, solange ich einsam bin. Was bedeutet es, einsam zu sein? Wie kommt es dazu? Hat es mit Instinkt oder Vererbung zu tun, oder wird es durch mein tägliches Handeln hervorgerufen? Wenn es ein Instinkt ist, wenn es ererbt ist, dann gehört es zu meinem Schicksal; ich kann nichts dafür. Aber da ich dies nicht akzeptiere, hinterfrage ich es und bleibe bei der Frage. Ich beobachte, ich versuche nicht, eine intellektuelle Antwort zu finden. Ich versuche nicht, der Einsamkeit zu sagen, was sie tun soll oder was sie ist. Ich beobachte, damit sie es mir sagt. Es gibt ein Beobachten, in dem die Einsamkeit sich offenbart. Sie wird sich aber nicht offenbaren, wenn ich davonlaufe, wenn ich mich fürchte, wenn ich Widerstand leiste. Ich beobachte sie also. Ich beobachte sie so, das kein Gedanke dazwischen tritt. Das Beobachten ist wichtiger als die auftauchenden Gedanken. Und da meine ganze Energie mit der Beobachtung dieser Einsamkeit befasst ist, mischen sich überhaupt keine Gedanken ein. Der Geist ist herausgefordert und muß antworten. Für ihn bedeutet die Herausforderung eine Krise. In einer Krise verfügt man über viel Energie, und diese Energie bleibt ohne die Einmischung von Gedanken erhalten. Das ist eine Herausforderung, auf die geantwortet werden muss. Ich begann damit, einen Dialog mit mir selbst zu führen. Ich fragte mich, was diese seltsame Sache, die Liebe genannt wird, wohl sei: jeder spricht davon, schreibt darüber – all die romantischen Gedichte, die Bilder, der Sex und all die anderen Aspekte. Ich frage: Gibt es überhaupt so etwas wie Liebe? Ich sehe, das sie nicht existiert, wenn Eifersucht, Hass und Angst vorhanden sind. Darum befasse ich mich nicht länger mit der Liebe; ich befasse mich mit dem, ’was ist’, mit meiner Angst, mit meiner Abhängigkeit. Warum bin ich abhängig’? Mir ist klar, das eine der Ursachen – ich sage nicht, es sei die einzige Ursache – meine verzweifelte Einsamkeit und Isolation ist. Je älter ich werde, um so einsamer werde ich. Darum beobachte ich. Es ist eine Herausforderung nachzuforschen, und weil es eine Herausforderung ist, steht die ganze Energie für eine Antwort zur Verfügung. Das ist eigentlich einfach. Wenn eine Katastrophe, ein Unglück oder was auch immer passiert, dann ist das eine Herausforderung, und ich habe die Energie, ihr zu begegnen. Ich brauche nicht zu fragen: »Wie bekomme ich diese Energie?« Wenn das Haus in Flammen steht, habe ich die Energie zu handeln: außerordentliche Energie. Ich lehne mich nicht zurück und sage: »Na gut, ich muss diese Energie bekommen«, und warte ab; bis dahin wäre das ganze Haus abgebrannt. Es gibt also diese ungeheure Energie, um die Frage zu beantworten: Warum besteht diese Einsamkeit? Ich habe Vorstellungen, Mutmaßungen und Theorien, das sie ererbt oder instinktmäßig sei, verworfen. All das sagt mir gar nichts. Einsamkeit ist ’das, was ist’. Warum gibt es diese Einsamkeit die jeder Mensch, wenn er überhaupt aufmerksam ist, oberflächlich oder auch sehr intensiv empfindet? Warum entsteht sie? Macht der Verstand irgendetwas, wodurch sie hervorgerufen wird? Ich habe Theorien über Instinkte und Vererbung abgelehnt und ich frage nun: Verursacht der Verstand, das Gehirn selbst diese Einsamkeit, diese totale Isolation? Wird sie durch die Denkbewegung verursacht? Erzeugt das Denken in meinem täglichen Leben dieses Gefühl der Isolation? Im Büro isoliere ich mich selbst, weil ich eine führende Position anstrebe, daher arbeitet das Denken unentwegt daran, sich selbst zu isolieren. Ich erkenne, dass das Denken die ganze Zeit darauf aus ist, sich überlegen zu fühlen, das Bewusstsein drängt sich selbst in diese Isolation. Jetzt ist also das Problem, warum das Denken so handelt Liegt es in der Natur des Denkens, für sich selbst zu arbeiten’? Liegt es in der Natur des Denkens, diese Isolation zu erzeugen? Erziehung und Bildung verursachen diese Isolation; sie verhelfen mir zu einer gewissen Karriere, zu einer gewissen Spezialisierung und somit zur Isolation. Das bruchstückartige, begrenzte und zeitgebundene Denken erzeugt diese Isolation. In dieser Begrenzung hat es Sicherheit gefunden und sagt sich: »Ich habe in meinem Leben eine spezielle Laufbahn eingeschlagen, ich bin Professor; ich bin vollkommen sicher.« Nun befasse ich mich mit der Frage: Warum macht das Denken so etwas? Liegt es gerade in seiner Natur, dies zu tun’? Was auch immer das Denken unternimmt, muss begrenzt sein. Das Problem ist nun: kann das Denken einsehen, das alles, was es macht, begrenzt, bruchstückhaft und daher isolierend ist, und das dies so sein wird, was auch immer es tut? Das ist ein sehr wichtiger Punkt: kann das Denken selbst seine eigene Begrenztheit einsehen? Oder sage ich nur, das es begrenzt ist? Ich erkenne, das es sehr wichtig ist, dies zu verstehen; dies ist der eigentliche Kern des Problems. Wenn das Denken selbst einsieht, das es begrenzt ist, dann gibt es keinen Widerstand, keinen Konflikt; es sagt sich: »Das bin ich.« Wenn aber ich ihm sage, das es begrenzt ist, dann trenne ich mich von der Begrenztheit ab. Dann kämpfe ich darum, diese Begrenzung zu überwinden, also entstehen Konflikt und Gewalt, und keine Liebe.
Sieht das Denken also selbst ein, das es begrenzt ist? Ich muss es herausfinden. Ich bin herausgefordert. Weil ich herausgefordert bin, habe ich viel Energie. Anders ausgedrückt: Erkennt das Bewusstsein klar, das es aus seinem Inhalt besteht? Oder habe ich nur jemanden sagen hören: »Bewusstein ist sein Inhalt; sein Inhalt bildet das Bewusstsein«. Und ich antworte darum: »Ja, so ist es.« Ist der Unterschied zwischen beidem zu sehen? Das letztere, vom Denken erzeugte, wurde vom ’Ich’ aufgestellt. Wenn ich dem Denken etwas aufzwinge, entsteht Konflikt. Es ist so, wie wenn eine tyrannische Regierung jemandem etwas auferlegt, nur das ich in diesem Fall selbst die Regierung geschaffen habe. Daher frage ich mich selbst: Hat das Denken seine eigenen Grenzen klar erkannt Oder gibt es vor, etwas Außergewöhnliches Edles, Göttliches zu sein? – was Unsinn ist, da das Denken auf Erinnerung beruht. Ich begreife, das in diesem Punkt völlige Klarheit herrschen muss: da8 kein äußerer Einfluss das Denken zu der Aussage zwingt, es sei begrenzt. Folglich, da es keinen Zwang gibt, gibt es auch keinen Konflikt; das Denken sieht einfach ein, das es begrenzt ist; es erkennt klar, das alles, was auch immer es tut – seine Verehrung Gottes und so weiter – begrenzt, erbärmlich und kleinlich ist, obwohl es überall in Europa herrliche Kathedralen zur Anbetung Gottes geschaffen hat. In meinem Gespräch mit mir selbst entdecke ich also, das Einsamkeit vom Denken erzeugt wird. Das Denken hat jetzt selbst erkannt, das es begrenzt ist und darum das Problem der Einsamkeit nicht lösen kann. Wenn es das Problem der Einsamkeit nicht lösen kann, existiert dann Einsamkeit’? Das Denken hat dieses Gefühl der Einsamkeit, diese Leere erzeugt, weil es begrenzt, bruchstückhaft und geteilt ist, und wenn es das einsieht, gibt es keine Einsamkeit, und deshalb besteht Freiheit vom Abhängigsein. Ich habe nichts getan; ich habe die Abhängigkeit und was sie mit sich bringt – Gier, Angst, Einsamkeit und all das – beobachtet, und in dem ich ihr nachspüre, sie beobachte, nicht analysiere, sondern ihr nur zuschaue, immer wieder zuschaue, erweist es sich, dass das Denken dies alles bewirkt hat. Das Denken hat, weil es bruchstückhaft ist, die Abhängigkeit geschaffen. Wenn es dies wahrnimmt, hört das Abhängigsein auf. Es wurde überhaupt keine Anstrengung unternommen. Denn in dem Moment, wo man sich anstrengt, kehrt der Konflikt zurück.
In der Liebe gibt es keine Bindung; wenn Abhängigkeit besteht, kann es keine Liebe geben. Der Hauptfaktor wurde durch Negieren dessen, was Liebe nicht ist, beseitigt, eben durch Negieren der Bindung. Ich weiss, was das im täglichen Leben bedeutet: keine Erinnerung an irgendeine Kränkung, die meine Frau, meine Freundin oder mein Nachbar mir zugefügt haben; kein Festhalten an irgendeinem Bild, das mein Denken sich von ihr gemacht hat: wie sie mich beherrscht hat, wie sich mich getröstet hat, wie ich sexuelle Freuden hatte – all die verschiedenen Dinge, von denen sich das Denken Bilder geschaffen hat; das Festhalten an diesen Bildern hat aufgehört. Und es gibt auch noch andere Aspekte. Muss ich sie alle Schritt für Schritt untersuchen, einen nach dem anderen? Oder ist das ein für allemal vorbei’? Muss ich genauso vorgehen, muss ich – ähnlich wie ich die Bindung erforscht habe – auch die Angst, das Vergnügen und den Wunsch nach Bequemlichkeit erforschen? Ich erkenne, das ich nicht all diese Faktoren untersuchen muss; ich sehe es mit einem Blick, ich habe es erfasst. Durch das Negieren dessen, was Liebe nicht ist, ist Liebe da. Ich brauche nicht zu fragen, was Liebe ist. Ich brauche ihr nicht nachzulaufen. Wenn ich ihr nachlaufe, geht es nicht um Liebe, sondern um Belohnung. Daher habe ich in dieser Untersuchung langsam, sorgfältig, ohne Verzerrung und ohne Illusion alles negiert und abgelegt, was Liebe nicht ist – Liebe ist das Andere.
Jiddu Krishnamurti
http://www.norbertheider.de/k1895/k1895_content.htm
Die gesamte Schöpfung existiert in dir,und alles,
was in dir ist,existiert auch in der Schöpfung.