10.10.2011, 15:08
Wie könnte die Rückkehr zu einer stabilen Währung ablaufen? Ökonom Dirk Meyer hat für FOCUS ein Szenario entworfen
Die Staatsschuldenkrise hat System. Sie ist die Folge eines nicht optimalen Währungsraums, dessen Mitglieder über ökonomisch unterschiedliches Terrain holpern und dabei ohne Stoßdämpfer verbunden sind. Konjunkturell und strukturell entwickeln sich die Euro-Staaten auseinander. Auch die Krisenreaktion der Politik hat System, nur die Symptome und nicht die Ursachen zu bekämpfen. Das Schiff mit 17 Kapitänen droht zu stranden, die Währungsunion ist am Ende.
Die Dominopolitik immer größerer Hilfsprogramme lässt die Bürger der verpflichteten Staaten ebenso aufbegehren wie die der in ihrer Souveränität stark eingeschränkten Nehmerstaaten. Der politische Friede der EU steht auf dem Spiel.
DER AUTOR
Wirtschaftsfachmann
Dirk Meyer ist Professor für Volkswirtschaft an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
Rettungsschirm-Gegner
Der Währungsexperte gehörte zu den Klägern gegen die Euro-Rettungsschirme vor dem Bundesverfassungsgericht
Ein Austritt aus dem Euro und die Wiedereinführung der Neuen Deutschen Mark (NDM) werden alternativfähig. Damit wäre zugleich einem drohenden chaotischen Zerfall der Währungsunion zuvorgekommen. Das rechtliche Problem hierbei: Der EU-Vertrag sieht ein Ausscheiden nicht vor. Konstruieren ließen sich sowohl ein Teilaustritt aus der EU gemäß Art. 50 EUV als auch eine Ermächtigung durch die Union.
Wie sähe ein entsprechender Fahrplan zeitlich aus? Ein Überraschungseffekt wäre hilfreich. Die Aufwertungserwartung würde sonst risikolose Spekulationsgeschäfte sowie den Zustrom von „gebietsfremden“ Euros aus der Rest-Union fördern. Der Bundestag müsste die Rückübertragung der Währungssouveränität (Art. 88 Grundgesetz) und ein Gesetz zur Einführung der NDM beschließen. Die drei Lesungen, die erforderliche Abstimmung im Bundesrat, die Gegenzeichnung durch den Bundespräsidenten usw. beanspruchen mindestens fünf Tage. Dieser Zeitbedarf ist jedoch zu hoch, um antizipative Transaktionen auszuschließen.
Um das zu verhindern, könnte die Bundesregierung die nächsten beiden Tage als Bankfeiertage festlegen, an denen die Institute die administrative Umstellung von Konten und Zahlungsverkehr vornehmen. Da das NDM-Bargeld kurzfristig nicht verfügbar ist, lassen sich die Geldvermögensbestände (Bargeld und Kontokorrent) lediglich registrieren. Dabei könnte das Buchgeld sofort zum gesetzlich festgelegten Umtauschkurs in die NDM transformiert werden. Sodann könnte man die vorgelegten Euro-Banknoten mit magnetischer Tinte fälschungssicher stempeln, um nur sie späterhin als zum Umtausch berechtigt auszuweisen. Damit verkörpern die gestempelten Euro-Noten bereits NDM zum gesetzlichen Umtauschkurs.
Der Austritt aus dem Euro müsste schnell und überraschend kommen
Überlegenswert wäre die Einführung zeitlich begrenzter Kapitalverkehrs- und Grenzkontrollen. Im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft mit freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr hätten sie jedoch nur begrenzte Wirkungen. Der Wechselkurs der NDM gegenüber dem Euro würde sofort aufwerten, entweder frei am Markt mit geschätzten 30 Prozent oder aber mit einer festgelegten Rate von vielleicht zehn Prozent. Deshalb wird man auf Grund des unterschiedlichen inneren Wertes mit der gestempelten 50-Euro-Banknote mehr Waren erwerben können als mit dem Euro-Original.
Binnen dreier Monate müssten Bundesregierung und Bundesbank mit der EZB die Austrittskonditionen aus der Währungsunion aushandeln. Dazu gehört auch die Beteiligung Deutschlands an den möglichen Verlusten der EZB durch die bisherigen Anleihenankäufe und weiterer Geschäfte mit den Banken der Krisenländer. Durch den Anteil Deutschlands von 27 Prozent könnte dies den Steuerzahler bis zu 30 Milliarden Euro kosten. Darüber hinaus muss Deutschland bestrebt sein, aus den Verträgen zur Griechenlandhilfe und des Rettungsschirms auszusteigen, notfalls durch ein permanentes Veto bei zukünftigen Hilfeanträgen. Allein die bis August geleisteten Kredithilfen von 75 Milliarden belasten die Bundesrepublik bei Insolvenz dieser Staaten mit 21 Milliarden Euro.
Wegen des langen Zeitbedarfs für Design, fälschungssichere Entwürfe sowie Produktion und Auslieferung der Banknoten ist mit der Einführung des NDM-Bargelds frühestens in zwölf bis 18 Monaten zu rechnen. Eine konzeptionelle Anlehnung an die alte Euro-Währung hätte neben einem Zeit- und Kostenvorteil vor allem auch einen Erfahrungs- und Akzeptanzvorteil. Zudem könnten die Prüfgeräte der Automaten einfacher umgestellt werden. Die Einführung des Euro-Bargelds kostete die Bundesrepublik etwa 20 Milliarden Euro. Ein ähnlicher Betrag käme bei der NDM zusammen.
Eine starke NDM hätte erhebliche realwirtschaftliche Folgen. Wurden exportintensive Branchen wie Maschinenbau oder Chemie bislang durch reale Abwertungseffekte innerhalb des Euro-Raumes begünstigt, so drohen infolge einer aufwertenden Währung zumindest kurzfristig Überkapazitäten. Diese Negativeffekte relativieren sich allerdings erheblich. Durchschnittlich beinhalten deutsche Exporte 40 Prozent Vorleistungsimporte aus dem Ausland. Diese Ware kann die Industrie nun billiger einkaufen, Konsumenten profitieren von günstigerern Importen. Produktvielfalt und reale Kaufkraft steigen. Der stärkere Wettbewerbsdruck zwingt inländische Produzenten zu innovativeren und kostengünstigeren Produkten.
Heute spiegelt sich das Exportplus Deutschlands in den teilweise erheblichen Importüberschüssen gerade der mediterranen Krisenstaaten wider. Einher geht eine Gläubigerposition Deutschlands. Bei einem Ausfall dieser Forderungen wären die Exportüberschüsse verschenkt. Ein Rückgang dieses Außenbeitrags kann für zusätzliche inländische Investitionen genutzt werden. Statt in den griechischen Konsum fließen die Ersparnisse in profitable Investitionen in Deutschland und erhöhen hier die Beschäftigung.
Aufwertungen der NDM würden die deutschen Euro-Auslandsschulden entwerten und überschuldeten Staaten die Tilgung erleichtern. Wegen der hohen Netto-Gläubigerposition Deutschlands kommt es per saldo zu einem Vermögensverlust von geschätzt 150 Milliarden Euro.
Insgesamt hätte Deutschland das Experiment Einheitswährung mehr als 200 Milliarden Euro oder rund zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung gekostet. Dieser Betrag erscheint immens. Er ist jedoch kalkulierbar und fällt einmalig an. Er ist Lehrgeld für die Anmaßung einer Klasse von euromanischen Politikern, die glauben, die ökonomischen Wahrheiten missachten zu können. Die Alternativkosten einer Transferunion mit jährlichen Wachstumsverlusten von einem Prozentpunkt, einem Anstieg der Zinssätze von ebenfalls einem Punkt und der Übernahme von Zinssubventionen und Ausfallkosten für die Krisenstaaten würde sich unter den derzeitigen Bedingungen hingegen auf jährlich etwa 60 Milliarden Euro summieren.
Die NDM wäre zudem ein Kristallisationspunkt für die Aufnahme weiterer EU-Mitglieder wie die Niederlande, Österreich, Finnland, Schweden und Dänemark. Auch vor diesem Hintergrund wäre die Namensgebung der Nord-Währung (Nord-Euro/Nordo) besonders überlegenswert.
Wer gestern "Welt online" las, der staunte nicht schlecht: "IWF-Berater gibt Europa nur noch 14 Tage" stand da auf der Startseite. Doch diese Schlagzeile währte nur einige Stunden. Schon am Abend wurde sie entschärft: "IWF-Berater dringt auf rasche Bankenrettung" - ist von nun ab zu lesen.
Aufmerksame "Welt" - Leser rieben sich die Augen. Stand da vorher nicht was Anderes? Und wie kam es zu der "Entschärfung"? Hat das Finanzministerium in der Redaktion angerufen? Oder wurde die Bundesbank gar vorstellig? Fakt ist, dass die Schlagzeile wurde weggenommen wurde.
Als Beweis hier die ehemalige URL, unter der nun der neue Titel zu lesen ist:
www.welt.de/politik/ausland/article13647229/IWF-Berater-gibt-Europa-nur-noch-14-Tage.html
> Hier der Originalartikel im Google-Cache
Zitat "Welt Online":
Der Berater des Internationalen Währungsfonds, Robert Shapiro, gab BBC-Journalisten darauf jetzt eine mehr als erschreckende Antwort. "Wenn sie (die Politiker) nicht in der Lage sind, die Finanzkrise auf eine glaubwürdige Art anzugehen, dann werden wir, so denke ich, vielleicht innerhalb von zwei bis drei Wochen einen Zusammenbruch bei den Staatsschulden haben, was im gesamten europäischen Bankensystem zu einer Kernschmelze führen wird.
Wir sprechen hier nicht nur von einer relativ kleinen belgischen Bank, wir sprechen von den grössten Banken der Welt, den grössten Banken in Deutschland, den grössten Banken in Frankreich. Das wird auf Grossbritannien überspringen, es wird überallhin springen, weil das weltweite Finanzsystem so stark miteinander vernetzt ist.“
Die Politik braucht einen überzeugenden Plan, sagt Shapiro und drückt damit indirekt das aus, was die meisten befürchten. Dass nämlich die Politik in Wahrheit keinen Plan hat, wie sie diese Krise in den Griff bekommen soll."