01.12.2015, 23:27
Schneewittchen und die sieben Zwerge
Die Königin saß im Winter am Fenster und nähte. Sie stach sich mit der Nadel, und drei Tropfen Blut fielen in den frischen Schnee auf dem Fensterbrett. „Ich wünsche mir eine Tochter, mit einer Haut, weiß wie Schnee, Lippen und Wangen rot wie Blut, und Haar so schwarz wie das Ebenholz auf dem Fensterbrett. Bald darauf gebar sie ein hübsches kleines Mädchen, und gab ihm den Namen Schneewittchen. Traurig war nur, dass sie ihre Tochter nicht aufwachsen sehen konnte, weil sie zu früh verstarb. Der König heiratete bald darauf noch einmal. Doch war diese Frau nur mit sich selbst beschäftigt, und achtete nicht auf das Mädchen. So schaute sie täglich in den Zauberspiegel, der nie log, und fragte: “Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Und der Zauberspiegel antwortete: „Ihr seid die schönste im ganzen Land!“ Doch Schneewittchen wuchs heran, ohne dass die Königin Notiz davon nahm. Eines Tages fragte sie ihren Zauberspiegel, der nie log: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Und der Spiegel antwortete mit der Tatsache: „Königin, ihr seid die Schönste hier, doch Schneewittchen ist tausendmal schöner als ihr!“ Da beschloss die Königin in ihrer Kälte, dass Schneewittchen sterben muss. Sie holte den Jäger zu sich, und befahl ihm, Schneewittchen im Wald zu töten. Er sollte ihr Lunge und Leber von ihr als Beweis zu bringen. So geschah es. Der Jäger führte Schneewittchen in einen dunklen Wald, und wollte sie mit dem Dolch töten. Doch da flehte Schneewittchen um ihr Leben, und der Jäger ließ sich erweichen. Schneewittchen entfloh in den dunklen Wald, und der Jäger brachte der Königin die Lunge und die Leber eines Tieres.
Schneewittchen irrte einige Zeit im Wald umher, bis sie ein kleines Häuschen entdeckte, das leer stand. Sie öffnete die Tür, sah das makellose Innere, legte sich müde auf ein Bett, das dort stand, und schlief ein. Als die sieben Zwerge, denen das Häuschen gehörte, vom nahen Berg zurückkamen, wo sie nach Gold gruben, fanden sie das anmutige Schneewittchen in ihrem Bett. Sie weckten es ehrfürchtig, und Schneewittchen, das zuerst erschrak, aber dann Vertrauen fasste, erzählte ihnen ihre Geschichte. „Bitte sorge doch für unser Heim, während wir tagsüber unterwegs sind!“ baten sie die Zwerge. Schneewittchen, die lange umher geirrt war im Wald, nahm ihr Anerbieten dankbar an. Dafür nahmen die Zwerge ihr das Versprechen ab, niemals jemandem die Tür zu öffnen, wenn sie nicht da waren. „Es könnte deine böse Stiefmutter sein!“ schärften sie ihr ein.
Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Stiefmutter erfuhr, dass sie noch lebte. „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Und der Zauberspiegel, der nie log, antwortete: „Ihr seid die Schönste hier, doch Schneewittchen über den Bergen, bei den sieben Zwergen, ist tausendmal schöner als ihr!“ Das erbitterte die Königin zutiefst. „Muss ich mich selbst darum kümmern!“ sagte sie zu sich, und vergiftete in ihrer Kammer einen Apfel. Dann suchte sie das Häuschen der Zwerge auf. Als Schneewittchen die Tür nicht öffnete, überredete sie sie, das Fenster zu öffnen, und reichte ihr den vergifteten Apfel. Als Schneewittchen in den vergifteten Apfel biss, fiel sie wie tot um. Die Zwerge, die kurz darauf zurückkamen, konnten sie nicht wieder zum Leben erwecken, und hielten sie für tot. Drei Tage lang weinten sie um sie. Dann bargen sie sie in einen gläsernen Sarg, und trugen sie zum Berg hinauf. Unterwegs begegneten sie einem Prinzen, der Schneewittchen durch den gläsernen Sarg sah, und sofort wusste, dass sie ihm gehören musste. Er bot den Zwergen an, für den Sarg zu bezahlen, doch die Zwerge lehnten ab. Erst als er ihnen versprach, Schneewittchen immer in Ehren zu halten, und über sie zu wachen, bis zum letzten Atemzug, willigten die Zwerge ein. Daraufhin übernahmen die Diener des Prinzen den Sarg zum weiteren Weg zum Schloss des Prinzen. Unterwegs fiel einer von ihnen hin, die Diener strauchelten, und der Sarg fiel zu Boden. Durch den Schlag fiel der vergiftete Brocken des Apfels aus ihrem Hals, Schneewittchen erwachte, und sah den Prinzen. Dieser zog sie in seine Arme, bat sie, seine Frau zu werden, und brachte sie zum Schloss. Dort heirateten sie bald, und lebten viele Jahre glücklich bis an ihr Ende.
Auf der Karte sieht man, wie die Zwerge den gläsernen Sarg einen gewundenen Pfad an Felsen und Wurzeln vorbei den Berg hinauf tragen. Die Felsen zeigen weise Gesichter, während die Wurzeln chaotisch wachsen. Wurzeln wachsen auch den Berg hinunter, und halten den Weg. Auf dem Pfad liegen 6 Schwerter, nicht allzu auffällig.
Deutung:
Der todesähnliche Schlaf von Schneewittchen steht für einen (traumhaften und schmerzvollen) Übergang in ein neues Alter, (oder in eine neue Dimension). Als Schneewittchen den vergifteten Apfelbrocken loswird, wird sie auch den Schmerz z.B. der Kindheit los. Doch erlösen, und damit aus der Unschuld ins Frau Sein führen, kann sie nur der Prinz. Er verkörpert den männlichen Teil der Seele, den Animus. Die Zwerge stehen für Boten aus der Kindheit, Vertrautheit und Geborgenheit, oder alte Führer aus dem Unterbewußtsein, die bei Tag keine Macht mehr über sie haben. Wie verletzlich ihre Metamorphose ist, zeigt der gläserne Sarg. Die weisen Gesichter der Felsen stehen für frühere Erfahrungen, auch aus früheren Leben, die über sie wachen. Vielleicht auch die Ahnen. Die chaotisch wachsenden Wurzeln stehen für die Verwirrung, die oft größere Veränderungen begleiten, halten aber auch den Pfad. Die 6 (der) Schwerter sorgen für Ausgleich gegensätzlicher Energien, wie die weisen Gesichter der Felsen, und die chaotischen Wurzeln.
Überlege, welche Veränderungen bei Dir gemeint sein könnten. Versetze Dich, wie die 6 der Schwerter anzeigen, in einen entspannten Zustand, um über die kommende Transformation nachzudenken. Mach Dir keine Sorgen, diese Reise gut zu bewältigen. Der gläserne Sarg und der todesähnliche Schlaf von Schneewittchen stehen für eine Transformation, die Dir bevorsteht, und Du kannst wahrscheinlich Hilfe in Anspruch nehmen. (der Prinz und die Weisheit der Felsen, also frühere Erfahrungen Deiner Seele/oder Ahnen) Du musst auf jeden Fall von etwas befreit werden, oder etwas loslassen. (der vergiftete Apfelbrocken) Aber mach nicht den Fehler, alles Alte wegzuschmeißen, die Wurzeln halten auch den gewundenen, schmalen Pfad.
Aus: Lisa Hunt: „Das Märchentarot“, Arun Verlag