24.09.2012, 19:50
Der Unterschied zwischen ignorieren und verdrängen von Gedanken
Auszug aus "Emotional bewusst" von Osho, http://www.arkana-verlag.de
Du hast auch einmal gesagt, man soll negative Inhalte des Verstandes ignorieren und ihnen keine Energie geben. Es fällt mir schwer, bei diesem Seiltanz dabeizubleiben - sie zu ignorieren, ohne dabei abzustürzen und sie wieder ins Unterbewusstsein zu verdrängen. Kannst du mir bitte sagen, wie ich den Unterschied zwischen diesen beiden Dingen erkenne?
Du kennst ihn schon. Die Unterscheidung ist in deiner Frage enthalten. Du weißt genau, wann du ignorierst und wann du verdrängst. Ignorieren bedeutet einfach, es nicht zu beachten. Es ist etwas da; lass es da sein. Du bist nicht betroffen - so oder so, ob es da bleibt oder nicht. Du hast kein Urteil. Du hast einfach akzeptiert, dass es da ist, und es ist nicht deine Sache, ob es da sein sollte oder nicht.
Bei der Verdrängung spielst du eine aktive Rolle. Du kämpfst mit der Energie; du drängst sie gewaltsam ins Unterbewusstsein. Du bemühst dich, sie nirgendwo mehr sehen zu können. Du willst sicher sein, dass sie nicht mehr da ist.
Zum Beispiel ist Wut da. Setz dich still hin und beobachte sie. Lass sie dableiben. Wie lange kann sie dableiben? Meinst du, sie sei etwas Unsterbliches, Ewiges? Genauso, wie sie gekommen ist, wird sie gehen. Du wartest einfach. Du tust nichts damit - weder dafür noch dagegen. Wenn du etwas dafür tust, lässt du sie an jemandem aus; und wenn du sie herauslässt, bekommst du Schwierigkeiten, weil die andere Person vielleicht nicht jemand ist, der meditiert - höchstwahrscheinlich nicht. Sie wird auch reagieren, und zwar mit noch größerer Wut. Nun bist du in einem Teufelskreis. Du bist wütend, du machst den anderen wütend, und ihr werdet immer wütender aufeinander.
Früher oder später wird deine Wut zu einem massiven Felsen von Hass und Gewalt, und während du dich in diesem Teufelskreis drehst, verlierst du deine Bewusstheit. Vielleicht tust du etwas, was du später bereuen wirst. Du wirst vielleicht morden, töten oder es zumindest versuchen. Und wenn die Episode vorbei ist, wunderst du dich: "Ich hätte nie gedacht, dass ich in der Lage bin zu töten." Aber du hast die Energie erzeugt, und die Energie ist zu allem in der Lage. Energie ist neutral. Sie kann erschaffen; sie kann zerstören. Sie kann dein Haus beleuchten oder dein Haus in Brand setzen.
Die Wut zu ignorieren bedeutet, dass du gar nichts damit tust. Die Wut ist da. Du nimmst einfach zur Kenntnis, dass Wut da ist, ebenso wie du zur Kenntnis nimmst, dass draußen ein Baum steht. Musst du etwas damit tun? Eine Wolke zieht am Himmel dahin - musst du etwas damit tun? Wut ist auch wie eine Wolke, die auf dem Bildschirm deines Geistes vorbeizieht. Also beobachte sie einfach; lass sie ziehen.
Es geht dabei gar nicht um einen Seiltanz. Mach Kleinigkeiten nicht zu etwas Großem. Es ist eine Kleinigkeit, und man kann es ganz einfach tun: Du musst einfach akzeptieren, dass die Wut da ist. Versuche nicht, sie zu beseitigen, versuche nicht, sie auszuagieren, und schäme dich nicht, dass du wütend bist. Auch wenn du dich schämst, beginnst du schon zu handeln - kannst du nicht einfach gar nichts tun?
Traurigkeit ist da. Wut ist da. Beobachte sie einfach. Und sei offen für Überraschungen. Wenn du achtsam sein kannst und deine Achtsamkeit arglos und rein ist, wenn du wirklich gar nichts tust, sondern nur schaust, dann wird die Wut langsam vorüberziehen. Die Traurigkeit wird verschwinden, und du bleibst mit einem reinem Bewusstsein zurück. Vorher war es nicht so rein, da die Möglichkeit der Wut da war. Nun ist die Möglichkeit wirklich geworden, und mit der Wut ist die Möglichkeit auch verschwunden. Du bist gereinigt. Vorher warst du nicht so still und fríedlich; nun bist du es. Die Traurigkeit hatte etwas von deiner Energie in Anspruch genommen. Sie hätte dein tiefes Glücksgefühl nicht zugelassen; sie hätte dein Bewusstsein verschleiert.
Traurigkeit, Wut und alle anderen negativen Emotionen fressen deine Energie auf. Sie sind alle da, weil du sie verdrängt hast, und deshalb lässt du sie nicht heraus. Du hast die Tür verschlossen und sie in den Keller gesteckt, damit sie nicht herauskommen. Selbst wenn sie entweichen wollten, würdest du sie nicht herauslassen. Sie werden dich dein Leben lang stören. Nachts werden sie zu Alpträumen, zu bösen Träumen. Am Tag werden sie sich auf deine Handlungen auswirken.
Es besteht auch immer die Möglichkeit, dass deine Emotion zu stark wird, um sie unter Kontrolle zu halten. Du verdrängst und verdrängst, und die Wolke wird immer größer. Irgendwann kommt ein Punkt, wo du sie nicht mehr kontrollieren kannst. Dann geschieht etwas, von dem die Welt glaubt, du würdest es tun. Aber wer dich kennt, kann sehen, dass nicht du es tust; du stehst unter dem Einfluss einer mächtigen impulsiven Kraft. Du verhältst dich wie ein Roboter; du bist hilflos.
Du mordest, vergewaltigst, tust etwas Abscheuliches - aber eigentlich bist es nicht du, der es tut. Du hast das ganze Material gesammelt, das so mächtig geworden ist, dass es dich nun zwingt, Dinge zu tun - Dinge, die gegen deinen Willen geschehen, die gegen dich sind. Selbst während du es tust, weißt du, dass es nicht richtig ist. Du weißt: "Ich sollte das nicht machen. Warum mache ich es?" Und trotzdem tust du es.
Viele Mörder haben vor vielen Gerichten der Welt ganz ehrlich gesagt, dass sie nicht gemordet haben. Doch das Gericht kann es nicht glauben; das Gesetz kann es nicht glauben. Ich kann es glauben, aber die Gerichte und Gesetze sind zu primitiv; sie sind noch nicht ausgereift. Sie stützen sich noch nicht auf die Psychologie. Sie sind einfach nur die Rache der Gesellschaft - in schöne Worte gefasst, aber in Wirklichkeit tun sie dasselbe, was dieser Mensch getan hat. Er hat gemordet; jetzt will die Gesellschaft ihn ermorden. Er war allein, aber die Gesellschaft hat das Gesetz, die Polizei, das Gericht, das Gefängnis. Und sie wird ein langes Ritual absolvieren, um sich selbst zu beweisen: "Wir bringen diesen Mann nicht um; wir versuchen nur, Verbrechen zu verhindern." Doch das stimmt nicht.
Wenn man Verbrechen verhindern will, sollten sich die Gesetze eher auf die Psychologie, auf Psychotherapie und Meditation stützen. Dann wird man in der Lage sein, zu sehen dass kein Individuum jemals etwas Unrechtes getan hat, sondern dass die ganze Gesellschaft Unrecht hat. Die Gesellschaft hat Unrecht, weil sie den Menschen beibringt, Emotionen zu verdrängen, und wenn sie sie verdrängen, kommt der Punkt, an dem das, was sie verdrängt haben, überkocht und sie einfach hilflos sind. Sie sind Opfer. Alle Kriminellen sind Opfer, und die Richter, die Politiker und die Priester sind die Kriminellen. Da es aber seit Jahrhunderte so gewesen ist, hat man es akzeptiert.
Tu gar nichts - ignoriere die Emotionen einfach. das ist nicht schwer: es ist eine ganz einfache Sache. Zum Beispiel steht in deinem Zimmer ein Stuhl. Ist es schwer ihn zu ignorieren? Du brauchst nichts damit zu tun. Schau dir die Inhalte deines Verstandes mit Abstand an; nimm nur ein bisschen Abstand, damit du sehen kannst: "Das ist Wut. Das ist Traurigkeit. Das ist Angst. Das sind Sorgen", und so weiter und so fort. Lass sie da sein. "Ich bin davon nicht betroffen. Ich werde nichts dafür oder dagegen tun." Und schon beginnen sie zu verschwinden.
Wenn du die einfache Übung lernen kannst, diese Dinge verschwinden zu lassen, wirst du ein klares Bewusstsein bekommen; du wirst die Dinge so klar durchschauen und so tiefe Einsichten erhalten, dass es dich nicht nur persönlich verändert, sondern auch die verdrängten Inhalte aus deinem Unterbewusstsein an die Oberfläche kommen. Wenn klar ist, dass du gelernt hast, nicht mehr zu verdrängen, kommen die verdrängten Dinge von selbst nach oben. Sie wollen in die Welt hinaus. Niemand will in deinem Keller im Dunkeln leben. Wenn sie sehen, dass du Verdrängtes hervorkommen lässt, brauchen sie nicht mehr zu warten, bis es Nacht wird und du schläfst. Sie werden herauskommen. Du wirst sehen wie sie aus dem Keller hervorkriechen und in dein Bewusstsein treten und von dort verschwinden. Allmählich wird dein Unterbewusstsein leer.
Und das ist das Wunder, die Magie: Wenn das Unterbewusstsein leer ist, bricht die Wand zwischen dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein zusammen. Es wird alles Bewusstsein. Zuerst war nur ein Zehntel deines Verstandes bewusst, nun hast du alle zehn Teile zusammen - bewusst. Du bist um das Zehnfache bewusster. Und der Prozess kann noch tiefer gehen; er kann auch das kollektive Unterbewusste befreien. Der Schlüssel ist derselbe. Er kann das kosmische Unbewusste befreien. Und wenn du alle unbewussten Teile unterhalb deines Bewusstseins bereinigen kannst, wirst du eine so tiefe Bewusstheit haben, dass du so leicht wie ein Vogel im Flug in höhere Bewusstseinsebenen gleiten kannst.
Das ist dein offener Himmel. Du warst nur so belastet, von soviel Gewicht beladen, dass du nicht fliegen konntest. Nun ist kein Gewicht mehr da. Du bist so leicht, dass die Schwerkraft ihre Wirkung auf deinen Geist verliert und du zum Überbewusstsein fliegen kannst - zum kollektiven und kosmischen Bewusstsein.
Göttlichkeit ist für dich erreichbar. Du musst nur die Teufel befreien, die du ins Unbewusste gedrängt hattest. Befreie die Teufel, und das Göttliche wird dir zugänglich. Und beides kann gleichzeitig geschehen. Während der untere Teil gereinigt wird, ist dir die höhere Welt bereits zugänglich. Vergiss nicht, ich sage es noch einmal: Es ist ein einfacher Vorgang.