13.08.2020, 08:41
Nichts währt ewig....
Liebes Forum
Ich hab diese Tage was erlebt, das mich ziemlich mitnahm und nachdenklich machte und weil ich das hier erzählen möchte, fand ich den Titel zum Thema sehr passend.
Also folgendes hatte sich zugetragen ... da war dieser alte Mann, den eigentlich sowieso niemand mochte, weil er nach dem Tod seiner Frau zu einem Griesgram wurde, der sich immer mehr zurückzog, isolierte und kein nettes Wort mehr für andere fand. Deshalb fiel es vorerst auch niemanden auf, dass er nicht einmal mehr zum Einkaufen ging. Erst der Postbote bemerkte nach einiger Zeit, dass der Briefkasten überlief und als er am Haus klingelte, fiel ihm auch der Geruch auf, woraufhin er die Polizei anrief. Man öffnete gewaltsam die Tür und fand den Mann tot im Bett liegend. Der Grad der Verwesung war bereits sehr weit fortgeschritten, sodass man von etwa drei bis vier Wochen ausging. Die Autopsie ergab dann einen Herzinfarkt, soweit man das noch feststellen konnte. Ich kannte den Mann überhaupt nicht, und erfuhr von dessen Geschichte über einen Freund von mir, weil dieser mich aus persönlichen Gründen bat, ihm beim Räumen des Hauses zu helfen. Ich sagte ihm meine Hilfe natürlich zu, denn weil es keine Angehörigen gab, sollte der ganze Besitz entsorgt werden. Ich hatte noch nie ein Haus betreten, indem zuvor jemand gestorben war, und nicht nur der Geruch und die unzähligen Fliegen machten mir schnell klar, dass ich mich etwas voreilig darauf eingelassen hatte. Wir trugen zwar alle die weissen Schutzanzüge und auch spezielle Atemschutzmasken, aber das konnte uns nicht vor der beklemmenden Situation ansich schützen. Man hatte irgendwie das Gefühl, die Anwesenheit des Toten überall um sich herum zu spüren. Ich fühlte mich wie ein unerwünschter Eindringling, der sich ungefragt an persönlichem Eigentum vergriff. Draussen stand ein riesiger Container, indem das alles entsorgt werden sollte, denn nichts davon war aufgrund des beissendes Geruches und der Insekten noch brauchbar. Also nahm ich das Zeug und warf es hinein. Sein ganzes Leben oder was davon zurückblieb, landete also im Müll. Ich fand dort Liebesbriefe, die er mal an seine Frau geschrieben hatte...aber ich nahm sie und warf sie weg. Ich fand Fotos aus glücklichen Zeiten, Augenblicke seiner Lebendigkeit und warf sie ebenfalls weg. Alles was ihm je etwas bedeutet hatte, wurde entsorgt, weil es für keinen anderen von Bedeutung war. Das war viel trauriger für mich zu erkennen, als sein Tod ansich, immerhin war er alt und herzkrank und er durfte in den eigenen vier Wänden sterben, inmitten seiner Erinnerungen. Doch am Ende blieb nichts von ihm übrig, nicht eine einzige Sache die darauf hindeutete, dass er überhaupt jemals existiert hatte und auch niemand, der um ihn getrauert hätte. Mag sein, dass er die Einsamkeit und sein Ende so gewählt hatte, trotzdem blieb mir der Gedanke, ob auch ein solches Leben als erfolgreiche Inkarnation anzusehen ist, selbst dann, wenn es keinen einzigen Hinweis mehr darauf gibt. Einer von den Helfern sagte beim Betreten des Hauses : "Als ob hier jemand die Zeit angehalten hätte...", und so war es ja irgendwie auch...nichts währt halt ewig, wie auch Ben schon sagte, ausser die Seele natürlich. Und das ist vielleicht auch der einzige, aber wichtigste Trost, den es geben kann.
Jedenfalls bin ich froh meine Gedanken hier teilen zu können. Das hilft mir sehr, um es wieder aus dem Kopf zu kriegen.
Also vielen Dank und
mit lieben Grüßen
nordwind
Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.
Georg Christoph Lichtenberg
Georg Christoph Lichtenberg