04.01.2013, 10:25
„20 Stunden Arbeit sind genug“
Weniger, lokaler und fröhlicher: Eine neue Form der Arbeit ist möglich, meint der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann.
taz: Herr Bergmann was ist neu an der „Neuen Arbeit“?
Frithjof Bergmann: Die alte Arbeit ist die Arbeit, die man tun muss, und die Neue Arbeit ist die Arbeit, die man wirklich wirklich tun will. Sie ist menschenentwickelnd statt menschenverzweifelnd. Sie ist die Arbeit, die Kraft gibt und sinnstiftend ist. Und – das möchte ich besonders betonen – sie findet vor Ort, lokal statt. Die Menschen produzieren vor Ort.
Wieso ist das so wichtig?
Ziel ist die Entwicklung eines neuen Arbeitssystems – und dafür ist es allerhöchste Zeit. Ein Teil ist die Entwicklung einer Grundwirtschaft am Ort. Heute ist es möglich, nahezu alles, was man zum Leben braucht, vor Ort herzustellen; also nicht nur Obst und Gemüse, Butter und Käse.
Man kann am Ort auch Elektrizität selbst herstellen, Zement und Möbel – und sogar Kühlschränke, Mikrowellen, Autoersatzteile und medizinische Hilfsmittel. Statt auf kolossale Fabriken setzen wir auf kleine Werkstätten. Das Ziel dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Sie sagen, zwanzig Stunden Arbeit sind genug. Reicht das wirklich, um damit seinen Lebensunterhalt decken zu können?
Das ist eine Frage, die immer als Erstes gestellt wird. Die Lohnarbeit teilt sich auf in zehn Stunden Grundarbeit und zehn Stunden einer Arbeit, die man tun will. Und gemeinsam – ich möchte betonen: gemeinsam –, nicht allein, kann man so viel herstellen, dass die Kosten zum Leben sehr gedrückt werden können.
Das Modell geht davon aus, dass die Menschen gemeinsam kleine Werkstätten aufbauen und parallel dazu neue Unternehmen gründen, die sich vor allem dadurch unterscheiden, dass man dort nur zehn Stunden arbeiten kann. Aber für diese zehn Stunden wird man gut bezahlt.
Wie lange braucht eine Gesellschaft, um dieses Modell leben zu können, und wie weit ist die Umsetzung Ihrer Vision?
Das ist auf jeden Fall ein Prozess. Er hat schon begonnen, auch in Deutschland. Die Idee einer neuen Wirtschaft findet immer mehr Anhänger. Am weitesten in der Umsetzung ist derzeit die Stadt Detroit – besonders bekannt sind dabei die urban gardens von Detroit: Überall in der Stadt wird Gemüse angebaut, die Stadt ertrinkt schon fast in dem vielen selbst hergestellten Gemüse.
Ein wichtiger Schritt sind auch andere Wohnformen. Auch hier gibt es viele Modelle. Ein Modell ist das sogenannte co-housing, wo die Menschen in Gemeinschaften leben, aber trotzdem ihre Individualität erhalten.
Wie sähe die Welt aus, wenn alle Gesellschaften nach Ihrem Modell leben würden?
Die Welt würde sich verändern. Nicht nur unsere Gesellschaft. Da die Menschen alles vor Ort selbst herstellen könnten, bräuchten sie ihre Länder und Kontinente nicht mehr zu verlassen. Auch Landflucht würde aufhören. Die Spaltung in Arm und Reich könnte überwunden werden. Die Menschen, die jetzt von Armut bedroht sind, weil sie sich nicht selbst helfen können, würden völlig neu motiviert, sich selbst zu versorgen.
Auch das Internet ist bei dieser Entwicklung hilfreich. Es ermöglicht neue Formen des Lernens – sogenanntes long-distance-learning. Schon heute verfügt unser Netzwerk über eine Vielzahl von Koryphäen, die gern in der Wissensvermittlung tätig werden. Und ich glaube, das Modell der Neuen Arbeit würde dazu beitragen, dass die Menschen fröhlicher werden, weil sie das tun können, was sie wirklich wollen.
Quelle: http://www.taz.de/!108355/